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Das Haus der Temperamente
von Johann Nestroy

Schultheater-Projekt an der Rudolf Steiner Schule
Essen
2011

Das Haus der Temperamente wurde mit einer achten Klasse in einem recht kurzen Zeitraum und intensiven Proben an der Rudolf Steiner Schule in Essen auf die Bühne gebracht. Der sehr spezielle österreichische Humor, aus einem anderen Jahrhundert, ist selbst von Erwachsenen oft schwer zu verstehen, Wörter und Ausdrucksweisen nicht mehr gebräuchlich, was uns in den Proben vor große Herausforderungen stellte. Umso erstaunlicher und erfreulicher war der Erfolg, mit dem die Schüler ihr reifes Klassenspiel auf die Bühne brachten.



Hintergründe zu unserer Arbeit an »Das Haus der Temperamente«

Da ich schon längere Zeit kein Stück mit einer achten Klasse erarbeiten konnte, freute ich mich sehr über die Anfrage aus Essen. Magenschmerzen bereitete mir, zugegebener Weise, die klare und unverhandelbare Vorgabe des Stückes. Mein Verhältnis zu Nestroy ist leider schon immer sehr ambivalent. In meiner eigenen Schulzeit spielten wir »Einen Jux will er sich machen«, was mich damals zu der Erkenntnis brachte, „dass Schauspiel wohl nicht so mein Ding ist“, und mir die bildenden Künste mehr zusagten. Das ich später doch zum Theater fand, lag gewiss nicht an Nestroy.

Das Haus der Temperamente, ist eines der erfolglosesten Stücke des österreichischen Autors und wurde schon wenige Aufführungen nach der Uraufführung vom Spielplan gestrichen. Dies war jedoch auch sicher der Tatsache geschuldet, das Nestroy unter enormem Druck stand, da er vertraglich verpflichtet war, pro Jahr vier neue Stücke für das Theater zu schreiben, an dem er zu dieser Zeit tätig war. Das auf diese Weise nicht jedes Stück ein großer Wurf werden konnte, versteht sich so von selbst.

Die durch Rudolf Steiner angeregte Auseinandersetzung mit den Temperamenten, hat die Waldorfschulen offensichtlich verleitet, Nestroys Haus der Temperamente zu einem der viel gespielten Acht-Klass-Spiel-Stoffe zu machen. Ob dies die tiefe Beschäftigung mit der menschlichen Prägung durch die temperamentale Ausrichtung wirklich inhaltlich stützt, möchte ich dahin gestellt lassen. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema in all seinen Facetten gilt als fundamentale Basis der Rollenrecherche- und Erarbeitung. Sie ist zweifelslos in der Behandlung jedes Stoffes nötig und gut möglich. Oft viel subtiler und tiefgehender. Diese „Forschungsarbeit“ wird natürlich bei „normalen Rollen“ etwas karikiert, wenn die Temperamente schon in der Rolle namentlich vorgegeben sind.

Durch Art und Inhalt des Stückes hatte ich bis in die Endproben hinein damit zu kämpfen, dass viele Schüler dem Inhalt und ihrer Spielsituation nicht wirklich folgen und sie dadurch in der Rolle nicht ergreifen und füllen konnten. Dass sie das selbst immer wieder belastete, war spürbar. Quälend war diese Tatsache, weil ich große Mühe hatte, den um die Rolle bemühten Jugendlichen klar zu machen, worin der Bezug der jeweiligen Rollen zu ihrer eigenen Biographie bestand. Da Klassenspiele jedoch für mich (auch menschenkundlich) nur Sinn ergeben können, wenn sie diesem Bezug theaterpädagogisch in einer Form begleitender Biographiearbeit praktisch auf die Spur gehen, konnte ich pädagogisch oft nur sehr mühsam an mein Ziel gelangen.

Nestroys Stück erzählt sich im ständigen Wechsel zwischen den Wohnungen der personifizierten Temperamente, in unzähligen Verwechslungen und Verstrickungen, die entscheidend das Tempo des Stückes bestimmen und vorantreiben. Die einzig mögliche, aber nötige „Notbremse“ bestand nach einer Woche aufreibender Proben darin, den kompletten Text des Stückes einzustreichen und neu zu schreiben. Die schnellen Wechsel der Handlungsorte mussten minimiert werden; die Sprache an Verständlichkeit gewinnen, und vollkommen fremde Wörter und Redewendungen entfernt werden, damit wenigstens die Spielerinnen und Spieler aktiv dem Stück folgen konnten.

Das Ergebnis war verblüffend. Die Unruhe während der Proben, Widerstände und Störmanöver nahmen rapide ab. Die Klasse stieg immer engagierter in das Geschehen ein und stellte sich dem sperrigen Stoff.

Auch die ausführliche Recherche der Schüler über die Biedermeierzeit, unterstützte das gesamte Verständnis der Klasse für die Zeit, den Autor und seine Motive zur Schaffung des Stückes, und brachte ihr den Bezug des Inhaltes und seiner Figuren zur eigenen Biographie spürbar näher.

Ein ungewöhnliches Geschenk in der Arbeit am Klassenspiel stellte auch die Zusammenarbeit mit Cornelia von zur Bicken dar. Sie zeichnete verantwortlich für das Kostümbild. Im ständigen intensiven Austausch konnten schließlich Kostüm- und Bühnenbild aus einem Guss gelingen. Die Kostüme waren auf der einen Seite sehr zeitgenössisch gestaltet, auf der anderen klar in Form und Accessoires an den Stil der Biedermeierzeit angelehnt. Wie die gesamte Bühne waren sie in weiß gehalten, und wiesen nur unaufdringlich durch farbliche Akzente auf das zugehörige Temperament hin. Nicht zu vergessen sind die durch sie selbstgefertigten Hüte, in denen die Epoche der Biedermeierzeit immer wieder gegenwärtig wurde.

Trotz des liebevollen Chaos, des speziellen Humors und der altersgemäßen Anarchie, der sich die Klasse leidenschaftlich verschrieben hatte, erstaunten die Schülerinnen und Schüler bis zum Ende durch ihren engagierten und professionellen Einsatz für die Arbeit an ihrem Stück in allen Teilbereichen, der das Stück am Ende zum verdienten Erfolg führte.

Für die Unterstützung mancher Eltern, namentlich Frau Oberholz und der Betreuung durch Herrn Hendrix, möchte ich mich gerne bedanken. Der herzliche Abschied, den die Schülerinnen und Schüler mir nach dem Abschluss der Arbeit bereiteten, bleibt mir unvergesslich; ebenso wie eine Klasse, deren Einzelpersönlichkeiten unterschiedlicher nicht hätten sein können, wodurch sie als Klasse ein besonderes Ganzes bildeten.


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